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Der Papierkorb

Fangen wir noch einmal von vorne an. Sie sind also am besagten Abend einfach hingegangen?

Ich habe Ihnen doch gesagt, dass der Vortrag mich gelockt hat. - Er war gut, der Professor. Er hatte eine nette Art, eine klare Stimme, auch mit Gefühl. Zugegeben, der Vortrag war etwas zu kurz. Vielleicht deshalb, weil ich ihm noch gerne länger zugehört hätte.

Gerade haben Sie gesagt, er wäre arrogant gewesen?

Nein, es waren doch zwei Professoren. Der eine war bei dem anderen als Redner zu Gast. Aber nach dem Gespräch zu urteilen, kannten sie sich schon länger. Sie müssen verstehen, Sie hatten eine gegenseitige Nähe ausgestrahlt. Waren aber dennnoch grundverschieden.

Glauben oder wissen Sie das?

Ich glaube es zu wissen. Es kam halt so rüber. Das fühlte man, wenn man mit ihnen sprach. Ich glaube nicht, dass ich mich täusche, denn sie hatten sich auch so verhalten.

Sie sagten, Sie hatten alles von einer gewissen Distanz gesehen. Was meinten Sie damit?

Ich war nur Beobachter, gar nicht so beteiligt, wie Sie vielleicht denken.

Aber Sie spielten doch eine Rolle?

Ja, ich spielte meine Rolle. Ich hatte das Gefühl auf einer Bühne zu stehen. Das erleben wir doch alle täglich. Ich fand nichts schlechtes daran.

Aber auch nichts gutes?

Wolffsohn! Jetzt fällt´s mir wieder ein. So heißt er. Welch´ eine zufällige Namensverwandschaft! Das ist doch eigenartig, oder?

Mein Sohn, Sie sagten doch, mein Sohn soll er gesagt haben!

Nein, der andere Professor. Er suchte mich. Es war ihm wohl etwas peinlich. Zumindest hörte ich ihn schon von Weitem. Ich erkannte sie, diese alte Stimme, etwas verkrustet. - Ich kannte sie ja schon von dem vorherigen Gespräch, als ich ihn einladen wollte…

…und er die Einladung abgelehnt hatte. Meinen Sie nicht auch, dass er einfach etwas überfordert war?

Nein, ich denke, er schlägt eine jede Einladung mit einer Handbewegung ab. Und das in seinem Alter, ich bitte Sie! Ein Professor der schon so viele Jahre seines Lebens hunderte Schüler unterrichtet hat, müsste doch Umgangsformen besitzen. Muß man denn so alt werden, um so zu reagieren? Ich wollte schon antworten: "Ich bin nicht Ihr Sohn." Waren wir uns bis dato noch nicht einmal begegnet.

Ich bitte Sie. Jetzt übertreiben Sie aber. Ein Professor ist auch nur ein Mensch.

Das ist wieder so ein ausgelutschter Spruch von ihnen. Ich denke da anders. In jedem von uns stecken alle Charaktereigenschaften. Nur halt unterschiedlich verteilt. Und manche Eigenschaften von Menschen, mit denen man immer wieder zu tun hat, sind so verkümmert! - Mein Gott! Immer bringen sie mich in Rage! Wollen oder können sie mich nicht verstehen? Befangen, sind Sie befangen! Sie sind auch einer von denen, die denken, mit der Masse zu gehen ist besser, nur weil der Weg mit den kleineren Steinen der leichtere ist.

Es geht hier nicht um meine Person. Noch einmal von vorne. Sie kamen also in sein Museum. Warum bezeichneten Sie es als seines?

Ich weiß nur, dass die Stadt ihm ein Museum für seine Arbeiten gebaut hat. Als Gegenleistung, weil er vermutlich keine Kinder hatte - jetzt spreche ich schon in der Vergangenheit - hat er seinen ganzen Besitz der Stadt vermacht.

Und das stimmt?

Das weiß ich nicht. Ich kenne doch den Mann erst seit gestern. Ich kenne ihn nicht wirklich. Aber gerade aus diesen Gründen verstehe ich nicht, warum er mein Sohn sagte. Junger Mann, OK. Aber er ist weder mein Vater, noch bin ich sein Sohn!

Ein klarer Fall von Überheblichkeit. Damit wollte er seine Größe darstellen, in dem er Sie eine Stufe tiefer setzte und wohl auch beschämte.

Ja, das stimmt. So wird es gewesen sein.

Und der Papierkorb. Was hat es mit dem Papierkorb auf sich?

Er war so verbohrt. Er tat mir leid. Nicht so, wie Sie denken, anders. Es liegt wohl an seinem Alter. Vielleicht versuchte er auch sein Image zu erhalten. Auch verständlich, oder? Es ist nicht leicht für ihn. Ich spürte, es fällt ihm schwer. Erreicht ist schnell etwas, es aber zu erhalten, ist eine noch viel größere Kunst.

Der Papierkorb. Bitte beantworten sie meine Frage.

Das ist es ja, verstehen sie denn nicht! Er sagte, die Kunst ist es, den Papierkorb zu überleben. Es war so, als klammere er sich an einem Papierkorb fest. Früher hasste er den Papierkorb. Dann wurde er zum Symbol seiner Überlebensstrategie. Heute ist er selber einer. Stellen Sie sich vor, ich würde ihn, den Papierkorb nicht überleben. Ich müßte viel zu jung sterben.

Jetzt aber Spaß beiseite. Er hatte ihnen doch etwas wichtiges mitgeteilt. Da steckt doch eine gute Absicht dahinter.

Meinen Sie, oder ist das wieder einer von Ihren Floskeln?

- Pause -

Nehmen wir mal an, es träfe so vieles zu. Seine übertriebene Größendarstellung, sein Mitteilungsdrang, sein egopersonifiziertes Kunstverständnis und auch irgendwo ein guter Kern in ihm. Wen sehen Sie dann?

Ich sehe nur einen Menschen.

- Pause -

Und jetzt nehmen wir an, die Begegnung hätte nie so stattgefunden und wäre anders verlaufen. Wo wären wir dann?

Am Anfang, ganz am Anfang.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Robert Wolf